Medizinnobelpreis 1983: Barbara McClintock

Medizinnobelpreis 1983: Barbara McClintock
Medizinnobelpreis 1983: Barbara McClintock
 
Die amerikanische Zytogenetikerin wurde für die Entdeckung der»springenden Gene« mit dem Nobelpreis ausgezeichnet.
 
 
Barbara McClintock, * Hartford (Connecticut) 16. 6. 1902, ✝ Huntington (New York) 2. 9. 1992; seit 1936 Assistenzprofessorin an der University of Columbia, 1942-67 dauerhaftes Mitglied der Carnegie Institution of Washington in Cold Spring Harbor, 1963-69 Beraterin beim landwirtschaftlichen Forschungsprogramm der Rockefeller-Stiftung; 1945 wird sie die erste Präsidentin der Genetic Society of America.
 
 Würdigung der preisgekrönten Leistung
 
Als Barbara McClintock 1944 in die amerikanische Akademie der Wissenschaften gewählt wurde, war sie verblüfft: »Juden, Frauen und Neger sind es gewöhnt, diskriminiert zu werden, und erwarten nicht viel. Ich bin keine Feministin, aber ich freue mich immer, wenn unlogische Barrieren durchbrochen werden — es hilft uns allen.« Ihr Kommentar charakterisiert die Art und Weise, wie es ihr gelang, gegen wissenschaftliche Dogmen unbeirrt ihren Weg zu verfolgen.
 
 Mais — die »Schlüsselpflanze« der Genetik
 
Die Geschichte der Entdeckung der genetischen Grundlagen des Lebens steckte bis zu Barbara McClintocks ersten Arbeiten Mitte der 1920er-Jahre noch in den Kinderschuhen. Erst mit der Wiederentdeckung der Mendel'schen Vererbungsgesetze im Jahr 1900 begann der Siegeszug der Genetik: Denn nun war man sicher, dass es im Zellkern materielle Einheiten gibt, die für die Vererbung spezifischer Eigenschaften verantwortlich sind. 1902 folgte die Vermutung, nach der Chromosomen, wie man die seit 1888 zu beobachtenden Strukturen bei der Zellteilung im Zellkern nannte, eng mit der Vererbung verbunden sind. Der Mendel'sche »Vererbungsfaktor« wurde fortan als »Gen« bezeichnet. Die Entdeckung der Geschlechtschromosomen machte schließlich die ersten experimentellen Veränderungen am Erbgut mittels Kreuzungsversuchen möglich, die Thomas Hunt Morgan (Nobelpreis 1933) seit 1907 systematisch an der Fliege Drosophila melanogaster studierte. Damit wurde den Forschern verständlich, dass der ideell gedachte Vererbungsfaktor »Gen« materiell auf den Chromosomen vorliegt. In Morgans Forschungslabor entstand die neue und für die Entwicklung des Fachs Genetik wichtige Disziplin der Zytogenetik.
 
Seit Ende des 19. Jahrhunderts war ebenfalls bekannt, dass es sprunghafte Veränderungen (Mutationen) an den Chromosomen geben kann, die dann zu einem neuen Erscheinungsbild eines Organismus führen. Als Mitte der 1920er-Jahre Mutationen an den Chromosomen durch Röntgenstrahlen experimentell hervorgerufen werden konnten, hatte man bereits begonnen die chemische Struktur des Zellkerns und der Chromosomen zu untersuchen.
 
An der Landwirtschaftlichen Abteilung der Cornell University war man unter der Leitung des damals bedeutendsten Genetikers Rollins A. Emerson besonders an Kreuzungsexperimenten mit dem Mais interessiert. Als Babara McClintock noch als Studentin begann, sich mit der Pflanze zu beschäftigen, war von der Maispflanze bekannt, wie viele weibliche und männliche Chromosomen sie besitzt. Problematisch war es nur, sie unter dem Mikroskop zu unterscheiden. Innerhalb kurzer Zeit entwickelte McClintock eine neue Färbetechnik, mit der die Chromosomen sichtbar gemacht werden konnten. Nun ließen sie sich unterscheiden und numerieren. Ihr Weg konnte somit bei den Kreuzungsexperimenten verfolgt werden.
 
Die Verknüpfung von Züchtungsexperimenten und Chromosomenanalyse war McClintocks angestrebtes Ziel. Bereits 1931 legte sie mit ihren Mitarbeitern Marcus Rhoades, George Beadle und Harriet Creighton erste Untersuchungsergebnisse ihrer langwierigen und sorgfältigen Züchtungsversuche und zytogenetischen Analysen vor. Sie zeigten, dass der Austausch von genetischen Informationen auch von einem Austausch von Chromosomenbruchstücken begleitet sein kann. Damit lieferte sie einen experimentellen Nachweis für die Verknüpfung bestimmter Gengruppen mit bestimmten Chromosomen (linkage groups). Für den Mais lokalisierte sie zehn solcher »linkage groups«, und für den tierischen Organismus wurde durch Morgan nur wenige Monate später an der Drosophila derselbe Nachweis geführt: Die Möglichkeit, Gengruppen auf den Chromosomen genauer zu identifizieren war eröffnet.
 
 Von springenden Genen und ungläubigen Kollegen
 
Ab 1941 rückte das Interesse der mittlerweile weltweit anerkannten Zytogenetikerin nach den genetischen Grundlagen der Mutationen in den Mittelpunkt ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Ihre Untersuchungsobjekte wurden die gefleckten Maiskörner, aus denen Pflanzen mit gesprenkelten Blüten, gefleckten Blättern, Früchten oder Stämmen entstehen. Sie stellte die Hypothese auf, dass diese Fleckenbildung zustande kommen kann, wenn bestimmte, für die Farbbildung verantwortliche Gene durch andere Gene kontrolliert werden. Mit ihrer Arbeit konnte sie die Existenz solcher »kontrollierenden Elemente« beweisen. Darüber hinaus zeigte sie die Verantwortlichkeit dieser »Kontrollsysteme« dafür, dass bestimmte genetische Eigenschaften zum Ausdruck kommen. Die Eigenschaften waren aber nicht stabil. Stattdessen konnte das Kontrollsystem für Farbmutationen den eingenommenen Ort wieder verlassen und an einer anderen Stelle erneut aktiv werden. Doch stand dieses Phänomen der »springenden Gene« im Widerspruch zu ihrem Nachweis der Lokalisation von Gengruppen auf bestimmten Chromosomenabschnitten. Dennoch maß sie ihren genauen Beobachtungsergebnissen eine wichtige Rolle in der Vererbung zu.
 
1951 stellte sie die Summe ihrer Forschungen der Fachwelt vor. Man verstand sie nicht und fand ihre Ergebnisse skurril und unverständlich. Es sollte noch über zwei Jahrzehnte dauern, bis der Begriff »jumping genes« zum Standardwissen eines Genetikers gehören sollte. Heute werden sie als »Transposons« bezeichnet. Doch warum sperrten sich die Genetiker so lange, dieses Phänomen zu berücksichtigen und in ihre Theorien über die genetischen Grundlagen des Lebens einzubauen?
 
Die Antwort auf die Frage liegt in dem unerschütterlichen Glauben vieler Genetiker, die bis Ende der 1960er-Jahre an der Idee der stabilen Anordnung der Gene auf den Chromosomen festhielten. Zudem begann ab 1953 eine andere Theorie die Genetiker zu faszinieren und alle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen: Die Erkenntnis der beiden Nobelpreisträger James Dewey Watson und Francis Harry Crick (1962), die die Doppelhelix-Struktur in der räumlichen Anordnung der DNS (Desoxyribonucleinsäure als molekulare chemische Grundlage der Erbsubstanz) beschrieben, rückte komplexe Untersuchungsreihen und zytogenetische Studien in den Hintergrund. Barbara McClintock setzte jedoch unbeirrt ihre Studien fort, während sich die meisten Forscher der Entschlüsselung der genetischen Struktur des Bakteriums Escherichia coli zuwandten. Erst der Nachweis, dass zwischen Bakterien beziehungsweise Viren Gene ausgetauscht werden können, ließ an dem Dogma der Unveränderlichkeit des Erbguts zweifeln und man begann zögerlich, die revolutionäre Idee von Barbara McClintock zu würdigen.
 
B. Lohff

Universal-Lexikon. 2012.

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